Späteiszeitliche "Glacial Lake Outburst Floods" im Karpatenbecken

Von Michael Hahl

 

Es freut mich, dass dieser Weblog in den letzten 30 Tagen über 400 Seitenaufrufe hatte, wie ein Blick in die "Statistik" mir offenbart. Das zeigt, dass sich so nach und nach - je mehr hoffentlich lesenswerte Beiträge folgen - wohl schon auch eine interessierte Leserschaft einstellen wird, was mich natürlich freut. Artikel wie der am 1.September hier veröffentlichte Beitrag über "Mudflows oder Megatsunami: Entstand der Balaton durch späteiszeitiche Schlammfluten?" erfordern natürlich etwas Zeit bei der Recherche, der Erarbeitung, und bis er so "richtig" in Form gebracht ist. 

Ein daran anknüpfender Artikel, den ich bereits kurzzeitig in diesem Weblog veröffentlicht hatte, und der sich mit einem Mega- oder Impact-Tsunami an der grönländischen Ostküste im September 2023 befasst, habe ich noch einmal auf "Entwurf" zurückgesetzt, um ihn irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt neu gestaltet hier wieder zu publizieren. Beim Entwurf hatte sich gezeigt, dass ich doch noch etwas weiteren Forschungsbedarf sehe. Mir geht es natürlich darum, die Erläuterung eines solchen Ereignisses in einem grönländischen Fjord auf die pleistozäne, also eiszeitliche Landschaftsgestaltung im Karpatenbecken und somit auf das geomorphologische Umfeld rund um den Balaton zu übertragen. Der Blog heißt ja schließlich "Zala|Land" und nicht "Arktis|Land", dennoch ist es für die geographische und landschaftsgeschichtliche Perspektive immer wieder wichtig, Vergleiche aus Raum und Zeit anzuführen, um daraus Schlüsse für die betreffenden Landschaftsformung, hier also im Karpatenbecken, ziehen zu können. 

Bei meinen weiteren Nachforschungen kam ich mittlerweile zur Schlussfolgerung, dass die spät- und nacheiszeitliche Oberflächengestaltung im Karpatenbecken - letztlich auch mit der Entstehung des Balatons - wohl weniger auf einen so genannten "Megatsunami" zurück zu führen sein dürfte (wie Pazynych es beschrieb, vgl. mein oben verlinkter Artikel vom 1. September), sondern dass es sich hierbei eher um spezifische Flutereignisse gehandelt haben dürfte, die in der Glazialmorphologie als "Glacial Lake Outburst Floods" oder kurz "GLOFs" zu verstehen sind. Gemeint ist damit das abrupte Kollabieren der wasserstauenden Dämme eines Gletschersees, oftmals durch Gletscherabbrüche und Bergstürze verursacht, wodurch eine gewaltige Megaflut ausgelöst werden kann, die einen Berghang hinunterschießt und kilometerweit mit enormer Kraft und Geschwindigkeit über die Ebenen donnert.  

Für das späteiszeitliche Karpatenbecken sind solche Megafluten durchaus wahrscheinlich und offenbar geben bestimmte Sedimente auch Hinweise auf die als GLOFs bezeichneten Ereignisse. In ihrer Intensität und Entstehungsweise können sie den Megatsunamis oder Impact-Tsunamis, wie sie auch an den rezenten - also landschaftsgeschichtlich gegenwärtigen - Fjorden beispielsweise der heutigen Grönlandküsten auftreten, durchaus gleichkommen. Der hier maßgebliche Unterscheidung besteht darin, dass Fjorde mit Meerwasser gefüllt sind, während die späteiszeitlichen Trogtäler an den Gebirgsrändern des Karpatenbeckens Moränen mit Gletscherendseen bilden.

Als Herkunftsgebiete kommen prinzipiell alle Randgebirge des Karpatenbeckens in Frage: die östlichen Alpen, die Karpatenränder und sogar das nördliche Dinarische Gebirge, denn überall gab es eiszeitliche Vergletscherungen mit dementsprechenden Gletscherabbrüchen, Aufschmelzungen, Endmoränen und Gletscherendseen, zuletzt insbesondere in der ausgehenden Würm-Kaltzeit.

Über solche Ereignisse habe ich nun also einige weitere Forschungen angestellt. Möglicherweise kann ich damit sogar mit einem gar nicht unwesentlichen Beitrag zur Forschungssituation bezüglich der spät- und nacheiszeitlichen Geomorphologie im Karpatenbecken beitragen. Meine bisherigen Erkenntnisse und Interpretationen möchte ich in einem späteren Artikel noch einmal dezidiert zusammen fassen, sobald dazu wieder etwas Ruhe und Muse gegeben ist. - Alles zu seiner Zeit ... 

Bild: Reliefkarte mit dem Karpatenbecken, umgeben von Alpen, Karpaten und Dinarischem Gebirge - Das Komitat Zala und der Balaton (nur als reliefierte Mulde kartiert) - südlich des Balaton-Berglands und des Bakony-Gebirges - befinden sich in der Bildmitte; gut zu erkennen ist die auffällige Zalaer Hügel- und Riedellandschaft. (Verwendung der verlinkten Karte rein zu wissenschaftlichen Zwecken)


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Translations: 

english: Late glacial lake outburst floods in the Carpathian Basin

magyar: Késő jégkorszaki tókiáramlások a Kárpát-medencében

slovensky: záplavy ľadovcových jazier v Karpatskej kotliner

hrvatski: ledenjačko jezero izbijanje poplava u Karpatskom bazenu

український: Пізньольодовикові паводки прориву льодовикових озер у Карпатському басейні

русский язык: Позднеледниковые озерные прорывные наводнения в Карпатской котловине


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Michael Hahl, deutscher Geograph, geboren 1965 in Ludwigshafen am Rhein, Abschluss an der Geographischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg (Magister Artium der Geographie; mit Geologie u. Ethnologie), wirkt als Inhaber des "Geographischen Fachbüros proreg" mit Projekten im regionalen Geotourismus sowie als Sachverständiger u. fachlicher Bearbeiter für Themenfelder aus Geoökologie u. Lebensraum-/Artenschutz, zudem für Fragestellungen der Subsistenz u. Mensch-Umwelt-Interaktion; freier Autor u. Begründer des geophilosophischen Konzepts "Bewusstseinsgeographie"; Verfasser von über 100 geo- u. umweltwissenschaftlichen, geotouristischen, umweltgeschichtlichen u. geoökologischen Publikationen u. Gutachten, über 100 Tafel-Texte für Geopfade in Natur- u. Geoparks; Exkursionen in viele Regionen Eurasiens, unter anderem in die Hochgebirge des Himalayas, der Skanden und der Alpen; derzeitige räumliche Schwerpunkte: West-Ungarn, Süd-Deutschland u.a.; weiterführende Info: www.proreg.de



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